„Ein Ofen ist kein Einzelgerät, sondern ein System“

Dr. Johannes R. Gerstner: Herr Cramer, wenn über Emissionen aus Holzöfen gesprochen wird, steht oft die Feuerstätte selbst im Fokus. Sie sagen, das greife zu kurz. Warum?

Onno Cramer: Weil die Feuerstätte in der Realität nicht isoliert funktioniert. Jede Feuerstätte ist Teil eines gekoppelten und dynamischen Systems – bestehend aus Feuerstätte, Abgasanlage, Verbrennungsluftzufuhr und Umgebungsbedingungen. Der reale Förderdruck, also die Kraft, mit der die Abgase aus dem Gerät gesaugt werden, wird maßgeblich von der Abgasanlage bestimmt: von ihrer Höhe, Masse, Dämmung und den äußeren Bedingungen. Die Luftmenge, die dabei durch die Feuerstätte strömt, hängt von inneren Druckverlusten und der Druckdifferenz zwischen Luft- und Abgasstutzen ab. In der Normprüfung arbeiten wir mit einem konstanten, standardisierten Förderdruck. Der existiert so aber in keinem realen Gebäude und passt auch immer nur zur geprüften Nennwärmeleistung. Genau diese Abweichung sorgt für Differenzen zwischen Prüfstand und Praxis, die sich mit leichteren und besser gedämmten Abgasanlagen in der Realität immer weiter von der Normprüfung entfernen – und damit für die bekannten Emissionsfaktoren im Inventar, die kontinuierlich steigen, obwohl die Geräte an sich sauberer werden. Doch genau diese Abweichung bietet eine der größten Chancen zur Verringerung der Realemission: die bewusste Nutzung abweichender Förderdrücke zur bestimmungsgemäßen Luftversorgung.

Dr. Johannes R. Gerstner: Was passiert genau, wenn der reale Förderdruck vom Prüfwert abweicht?

Onno Cramer: Das hängt von der Art und der Richtung der Abweichung ab, denn konstanter Druck stellt ja zunächst keine ideale Bedingung für einen Abbrand mit schwankender Leistung dar. Am Anfang zu viel Luft, am Ende wieder – dazwischen eine Leistungsspreizung, die wir eigentlich verringern wollen.  Grundsätzlich folgt im Naturzugbetrieb der Förderdruck der Leistung, was für eine Verringerung der Realemission sorgen kann – durch fallenden Druck bei Teillast ebenso wie durch steigenden Druck bei Überlast sowie die dynamische Druckschwankung während des Abbrands. Dabei gilt: je leichter der gedämmte Teil der Abgasanlage, umso dynamischer reagiert das System. Bei grundsätzlich zu geringem Förderdruck, wie er bei der Kombination von modernen Einzelraumfeuerungen und alten Abgasanlagen vermehrt vorkommt, kommt es zu Luftmangelbetrieb, der unbedingt zu vermeiden ist. Daher benötigen wir einen verbindlichen Funktionsnachweis. Bei zu hohem Förderdruck – was bei modernen, leichten Abgasanlagen häufig der Fall ist – kommt es zu einem überhöhten Luftüberschuss. Das senkt den Wirkungsgrad, steigert die Abgasmenge und erschwert die vollständige Verbrennung. Sekundärmaßnahmen wie Katalysatoren oder Abscheider können unter diesen Bedingungen nicht optimal arbeiten, weil sie auf ein bestimmtes thermodynamisches Fenster angewiesen sind. Gleichzeitig wird die Luftverteilung im Gerät gestört, was den Abbrand in seiner Dynamik verändert.

Dr. Johannes R. Gerstner: Wie kann man dem entgegenwirken?

Onno Cramer: Indem man nicht versucht, den Realbetrieb künstlich der Normprüfung anzugleichen – sondern die Installation berücksichtigt und die Vorteile der realen Bedingungen optimal nutzt. Eine mögliche Lösung ist zum Beispiel die Einführung eines definierten Druckverlustes in der Verbrennungsluftzufuhr, der einmalig bei der Installation eingestellt wird. Bei uns geschieht das durch ein spezielles Luftventil, den sogenannten Volumenstromregler (VSR). Dieses Ventil sorgt dafür, dass der Druckverlust der Feuerstätte auf den erwartbaren realen Förderdruck angehoben wird. Es ist ein Beispiel dafür, wie man die Dynamik der Anlage aktiv zur realen Emissionsminderung nutzen kann – es gibt möglicherweise auch andere Wege. Entscheidend ist: Wenn die Installation berücksichtigt wird, lassen sich Emissionen im Realbetrieb deutlich senken. Unsere Messungen zeigen bis zu 50 % weniger Emissionen im Naturzugbetrieb im Vergleich zur Normprüfung – das betrifft sowohl Nenn- als auch Teilwärmeleistung bei unterschiedlichen Schornsteinhöhen. Der VSR ist dabei eine mögliche technische Antwort, nicht die einzige.

Dr. Johannes R. Gerstner: Funktioniert das nur bei neuen Geräten – oder lässt sich auch der Bestand nachrüsten?

Onno Cramer: Beides ist denkbar. Bei Neugeräten kann ein solches Bauteil direkt integriert sein. Für bestehende Anlagen haben wir beispielsweise eine Drosselklappe entwickelt, die ebenfalls einen einstellbaren Druckverlust erzeugt. Sie kann am Verbrennungsluftstutzen montiert werden, ohne das Gerät selbst zu verändern. Damit wird es möglich, auch im Bestand die Randbedingungen für einen emissionsarmen Abbrand zu erzeugen und bei abweichenden Leistungen zusätzlich die Vorteile vom natürlichen Förderdruck zu nutzen. Natürlich hängt die Wirkung vom jeweiligen Schornstein, der Bauart der Anlage und dem Nutzungsverhalten ab – es braucht also immer eine fachgerechte Einschätzung vor Ort. Aber der Ansatz ist übertragbar: Die Feuerstätte sollte nicht allein betrachtet werden, sondern in ihrem installierten Kontext.

Dr. Johannes R. Gerstner: In der Praxis wird auch über Abbrandsteuerungen gesprochen, die automatisch regeln. Wie stehen Sie dazu?

Onno Cramer: Abbrandsteuerungen können sinnvoll sein, besonders wenn sie temperatur- oder sauerstoffgeführt sind. Sie helfen, Bedienfehler zu reduzieren und Auskühlverluste zu vermeiden. Zudem können sie zur korrekten Luftversorgung beitragen, wenn sie in Kombination mit nicht direkt angeschlossenen Feuerungen verwendet werden, da hier beispielsweise Speichermassen zu einem zeitlichen Versatz der Leistungs- und Förderdruckspreizung führen. Aber sie stoßen an Grenzen, wenn der Druck im Gesamtsystem nicht passt. Eine elektronische Regelung kann zum Beispiel nicht kompensieren, wenn die Grundvoraussetzungen durch zu hohen Förderdruck gestört sind. Deshalb ist es wichtig, beides zu kombinieren: eine saubere Luftführung als technische Basis und eine Regelung, die darauf aufsetzt. Dann kann auch bei wechselnden äußeren Bedingungen ein stabiler, emissionsarmer Betrieb erreicht werden. Bei direkt angeschlossenen Geräten kann dagegen schon die Abstimmung der Feuerstätte auf die Abgasanlage ausreichend sein, da der sich dynamisch und passend zum Abbrand verändernde Förderdruck der Feuerstätte viel besser die tatsächlich passende Verbrennungsluftmenge zuführen kann. Zudem ist damit auch der emissionsarme Betrieb im Fall von Stromausfällen sichergestellt.

Dr. Johannes R. Gerstner: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Prüfnorm EN 13384?

Onno Cramer: Die EN 13384 dient derzeit in erster Linie der sicherheitstechnischen Auslegung. Wir halten es für sinnvoll, sie künftig auch als funktionalen Nachweis heranzuziehen. Wenn Hersteller künftig nicht nur den Mindest-, sondern auch den zulässigen Maximalförderdruck angeben würden, könnten Installationen darauf abgestimmt geplant und geprüft werden. Bei Abweichungen ließen sich dann gezielt Maßnahmen ergreifen – etwa durch eine geeignete Luftdrossel. So ließe sich der Realbetrieb besser kontrollieren und die Streuung bei den Emissionen deutlich reduzieren. Entscheidend ist, dass nicht nur das Gerät geprüft wird, sondern das Gesamtsystem berücksichtigt wird – denn dadurch entstehen die tatsächlichen Emissionen.

Dr. Johannes R. Gerstner: Herr Cramer, zum Abschluss: In Europa wird derzeit intensiv über eine neue Ecodesign-Regulierung diskutiert. Welche Rolle können technische Lösungen in diesem Kontext spielen?

Onno Cramer: Aktuelle Untersuchungen belegen einen wissenschaftlichen Dissens zwischen Realemission und bisheriger Emissionsfaktorermittlung. Das verwendete Verfahren selbst führt physikalisch zwingend zur Erhöhung der Emissionsfaktoren, wenn die realen Emissionen verringert werden. Die höchsten Emissionen, welche zur Mittelwertbildung der zuletzt diskutierten Faktoren geführt haben, wurden bei eben der Feuerstätte gemessen, welche leistungs- und Förderdruckunabhängig im Naturzugbetrieb die nach Norm geprüfte Emission um 50% unterschritten hat. Umgekehrt führt eine Geräteauslegung zum Erreichen geringerer Emissionsfaktoren zum Anstieg der Realemission bei Betrieb mit natürlichem Förderdruck. Zukünftige Geräteentwicklung kann nur für Prüfstand oder Realbetrieb optimiert werden, von daher ist vor der Revision der Ecodesign-Richtlinie bzw. Ableitung zukünftiger Grenzwerte zum Erreichen der Minderungsziele zwingend eine Änderung der zukünftigen und Neubewertung der bisherigen Emissionsfaktorermittlung erforderlich.

Die Diskussion über Ecodesign zeigt, dass man emissionsärmere Feuerstätten will – was auch richtig ist. Aber man darf dabei nicht vergessen, dass der größte Hebel oft nicht im Gerät selbst liegt, sondern in der Art, wie es installiert und betrieben wird. Eine moderne Feuerstätte kann ihre Vorteile nur entfalten, wenn sie unter den Bedingungen arbeitet, für die sie konzipiert ist. Dazu gehören neben dem Betrieb bei natürlichem Förderdruck anpassbare Luftführung, aufeinander abgestimmte Systemkomponenten und eine Installationspraxis, die funktional mitdenkt. Der Volumenstromregler, um nur ein Beispiel zu nennen, kann hier einen Beitrag leisten. Entscheidend ist, dass solche Lösungen offen gedacht werden – herstellerübergreifend, installationsbezogen und technisch nachvollziehbar. Dann bleibt der Ofen nicht nur relevant, sondern wird auch Teil einer verantwortungsvollen Energielandschaft.

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