Dr. Johannes R. Gerstner: Frau Schön, in der öffentlichen Debatte heißt es immer wieder, Kaminöfen würden im Alltag viel höhere Emissionen verursachen als im Labor. Wie erklären Sie die Unterschiede zwischen Typprüfung und realem Betrieb?
Claudia Schön: Das liegt vor allem am Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer. Im Labor wird unter streng standardisierten Bedingungen geprüft: Die Scheite sind exakt abgewogen, haben definierte Maße und eine festgelegte Holzfeuchte. In der Realität sieht das anders aus – da wird mit übertrocknetem oder feuchtem Holz geheizt, es werden unterschiedlich dicke Scheite verwendet, leider auch häufig zu viel Holz nachgelegt. Solche Überlast-Situationen treten häufig auf, wenn Nutzer es im Raum schnell warm haben wollen. Auch die Anheizphase, die in vielen Prüfzyklen gar nicht erfasst wird, trägt in der Praxis erheblich zur Emissionsbelastung bei. Unsere Erfahrungen aus Projekten wie Real-LIFE oder beReal zeigen sehr deutlich, dass gerade in dieser Phase besonders viele Feinstaubpartikel entstehen, weil die Feuerstätte erst auf Betriebstemperatur kommen muss. Und ohne diese Anheizphase läuft kein Ofen.
Dr. Johannes R. Gerstner: Derzeit gilt bei der Typprüfung die Norm EN 16510. Ist das aus Ihrer Sicht noch zeitgemäß?
Claudia Schön: Die EN 16510-1:2022 ist ein Fortschritt gegenüber früheren Prüfmethoden, weil sie standardisierte Lastzustände definiert und eine Vergleichbarkeit zwischen Geräten und Prüfstellen ermöglicht. Allerdings beschränkt sich die Messung meist auf die Nennlast und lässt Anheiz- und Teillastphasen außen vor. Gerade letztere sind im tatsächlichen Ofenbetrieb sehr häufig. Aktuell werden beispielsweise in der EN 16510 bei Teillast unrealistisch niedrige Förderdrücke gefordert – unter Naturzugbedingungen wurden diese niedrigen Förderdrücke nicht beobachtet. Auch die Praxis, bei Überlast mit größeren Holzstücken zu arbeiten, kann zu Verzerrungen führen, da das Abbrandverhalten und die Emissionen davon stark beeinflusst werden. In der Praxis wird das Heizverhalten selten so exakt gesteuert wie im Labor – das muss bei der Interpretation von Prüfergebnissen berücksichtigt werden. Aus diesem Grund setzen wir uns für eine Weiterentwicklung der Prüfmethodik vom Kaminöfen ein, die zusätzliche Betriebssituationen berücksichtigt.
Dr. Johannes R. Gerstner: Sie sprechen vom Real-LIFE-Zyklus. Was unterscheidet ihn von bisherigen Verfahren?
Claudia Schön: Der Real-LIFE-Zyklus ist ein standardisiertes Prüfverfahren, das zusätzliche typische Betriebszustände abbildet: Er umfasst nicht nur die Nennlast, sondern auch die Anheizphase mit zwei Brennstoffaufgaben, zwei weitere Brennstoffaufgaben bei Teillast und eine Brennstoffaufgabe mit Überlast. Ziel ist es, ein erweitertes Bild des Emissionsverhaltens über einen vollständigen Heizzyklus hinweg zu erhalten – also unter Bedingungen, die typischen Nutzungsmustern näherkommen als eine reine Nennlastprüfung. Natürlich handelt es sich auch hier um Laborbedingungen – der Begriff „realistisch“ darf nicht mit einer echten Alltagssituation gleichgesetzt werden. Wenn man diesen Zyklus künftig anwenden will, muss man berücksichtigen, dass dadurch auch die gemessenen Emissionen steigen. Unsere Analysen im Real-LIFE-Projekt zeigen: Bei elf getesteten Feuerungen müsste beispielsweise der CO-Grenzwert von derzeit 1500 mg/m³ auf etwa 2250 mg/m³ angehoben werden, um bei Real-LIFE ein vergleichbares Emissionsniveau wie heute bei EN 16510 zu erreichen. Für organischen Kohlenstoff wäre der Korrekturfaktor rund 2,2, für Staub etwa 1,8. Diese Werte zeigen: Schon durch die Abbildung zusätzlicher Phasen werden höhere Anforderungen gestellt – auch ohne formale Grenzwertverschärfung.
Dr. Johannes R. Gerstner: Welche Wünsche hätten Sie konkret an die künftige Ecodesign-Richtlinie?
Claudia Schön: Wir wünschen uns eine konsequente Weiterentwicklung des Prüfverfahrens, hin zu einer differenzierteren Abbildung verschiedener Betriebszustände – also inklusive Start- und Stopp-Phasen sowie Teillast und Überlast. Der Real-LIFE-Zyklus kann dafür eine sinnvolle Basis sein. Wichtig ist aber: Wenn man solche Prüfzyklen einführt, darf man nicht gleichzeitig die Grenzwerte verschärfen. Das wäre eine doppelte Belastung – technisch und wirtschaftlich. Außerdem müssen Prüfkriterien wie Scheitlänge und Brennstoffmenge klar geregelt sein, um Vergleichbarkeit zu schaffen und zu verhindern, dass Emissionen durch optimierte Prüfstandbedingungen verfälscht werden. Der Fokus sollte also auf nachvollziehbaren Prüfbedingungen und stabilen Grenzwerten liegen – nicht auf theoretischer Perfektion.
Dr. Johannes R. Gerstner: Ein Thema, das auch politisch diskutiert wird, sind Staubabscheider. Welchen Stellenwert sehen Sie für diese Technik in der Praxis?
Claudia Schön: Elektrostatische Staubabscheider können eine wichtige Rolle spielen, vor allem im Bestand. Im FNR-geförderten Projekt „LangEFeld“ haben wir Feldversuche mit Schornsteinfegermessgeräten an fünf Standorten durchgeführt. Dabei haben wir festgestellt, dass besonders Aufdachlösungen – also weiter vom Ofen entfernte Einbaulagen – zum Teil bessere Abscheidegrade erzielen auf dem Prüfstand nach der neuen DIN/TS 33999-1:2025. Die Temperatur scheint einen großen Einfluss auf die Effizienz zu haben. Die DIN/TS 33999-1:2025 unterscheidet daher zwei Temperaturfenster für unterschiedliche Einbausituationen. Wichtig ist, dass der Abscheider über eine breite Spanne von Partikelkonzentrationen hinweg stabil arbeitet. Unsere bisherigen Ergebnisse zeigen: Auch wenn der Ofen nicht optimal betrieben wird, können Staubabscheider die Emissionen deutlich senken.
Dr. Johannes R. Gerstner: Also sind Staubabscheider das Mittel der Wahl für alle Geräte?
Claudia Schön: Nein, so pauschal würde ich das nicht sagen. Wir fordern keine Pflicht für alle Feuerstätten. Aber dort, wo Grenzwerte sonst nicht eingehalten würden oder wo besondere Luftreinhalteanforderungen bestehen – etwa in Ballungsräumen oder Neubaugebieten – können Staubabscheider eine praktikable Lösung sein. Die Technologie ist seit einigen Jahren im Markt, aber bislang noch nicht weit verbreitet. Das liegt vor allem an den Stückkosten: Die Produktion läuft nicht in hohen Serien, also sind die Geräte für viele Haushalte noch zu teuer. Erst wenn die Stückzahlen steigen, können die Preise sinken. Es ist also eine klassische Henne-Ei-Frage. Mit gezielter Förderung, technischen Standards und etwas regulatorischem Rückenwind kann sich das schnell ändern.
Dr. Johannes R. Gerstner: Frau Schön, zum Schluss: Was sagen Sie all jenen, die den Ofen als Auslaufmodell sehen?
Claudia Schön: Ich halte das für einen Irrweg. Der Ofen hat Zukunft – aber nur, wenn wir ihn intelligent weiterentwickeln. Holz ist ein regional verfügbarer, klimafreundlicher Energieträger, der gerade in ländlichen Regionen eine zentrale Rolle spielt. Mit moderner Gerätetechnik, differenzierten Prüfzyklen, sauberem Betrieb durch z. B. Schulung und ergänzenden Lösungen wie Staubabscheidern können wir das Heizen mit Holz deutlich umweltfreundlicher machen. Der Schlüssel liegt darin, Anforderungen und Praxisbedingungen besser aufeinander abzustimmen – dann bleibt der Ofen nicht nur erhalten, sondern wird Teil der Wärmewende.